Billiganbieter wie Temu haben den deutschen Online-Handel verändert und den Wettbewerb gerade für kleine Player erhöht. Hier erfährst Du, was Temu so stark macht und mit welchen Strategien Du als eCommerce Gründer*in darauf reagieren kannst.
Die chinesischen E-Commerce-Plattformen Temu und Shein verändern das Konsumverhalten in Europa. Mit einer Kombination aus extrem niedrigen Preisen und einer breiten Produktauswahl ziehen sie Millionen Kunden an und stellen eine zunehmende Konkurrenz für den deutschen Online-Handel dar. Gerade junge eCommerce Startups fragen sich gerade, wie sie auf diesen aggressiven Wettbewerber reagieren sollen. In diesem Artikel erfährst Du, was Temu & Co. so stark macht, inwiefern sie den hiesigen Online-Handel beeinflussen und was Du als eCommerce Gründer*in jetzt tun kannst.
Temu, das 2022 in den USA startete, hat sich schnell zu einem der meistbesuchten Online-Marktplätze in Deutschland entwickelt. Mit einem riesigen Sortiment, das von Kleidung und Elektronik bis hin zu Haushaltsartikeln reicht, können Verbraucher Produkte zu 20–30 % niedrigeren Preisen als bei europäischen Anbietern erwerben. Dies liegt an einer Reihe von Besonderheiten, die viele hiesige Online-Händler „auf dem falschen Fuß“ erwischt hat.
Kunden schätzen vor allem Temus unschlagbare Preise, die durch den Direktversand aus China und die Umgehung teurer Lagerhaltung ermöglicht werden. Während sich Plattformen wie Amazon durch ein umfassendes Logistiknetzwerk in Europa etabliert haben, konzentrieren sich Temu & Co. auf einen preiszentrierten Ansatz, der auf unmittelbare Verfügbarkeit verzichtet. Hier wird also ein neuer Standard im Online-Handel gesetzt, bei dem Kunden bereit sind, längere Lieferzeiten in Kauf zu nehmen, wenn sie dadurch erheblich sparen können.
„Die chinesischen Plattformen verzichten auf schnelle Lieferung. Dafür attackieren sie beim Preis,“ bestätigt auch Alexander Graf, Gründer von Spryker und deutscher E-Commerce-Guru. „Die Kunden können 20 bis 30 Prozent bei Produkten sparen, die sie nicht sofort brauchen, und sie bekommen eine ähnliche Qualität. Also kaufen sie bei Shein und Temu“.
Für viele deutsche Anbieter wie Otto, Zalando und Co., die sich jahrelang in Sachen „schnelle Lieferung“ zu überbieten versuchten, kam diese Änderung des Kundenverhaltens reichlich überraschend. Die teuren Investitionen in große Warenlager und eine schnelle Logistik können aber nicht mehr rückgängig gemacht werden, was ihnen den Einstieg in einen direkten Preiskampf mit Temu deutlich erschwert.
Auch wenn es auf den ersten Blick sein Geld mit Handel macht, hat Temu ein Geschäftsmodell entwickelt, das über die reine Produktmarge hinausgeht und zunehmend auf „Retail Media“ setzt. Letzteres steht für eine Strategie, bei der Händler auf der Plattform für Werbeplätze bezahlen, um ihre Produkte sichtbar zu machen. Anders als traditionelle Einzelhändler, bei denen das Warenrisiko oft beim Plattformbetreiber liegt, bleibt es bei Temu vollständig bei den Händlern. Diese haben jedoch die Möglichkeit, ihre Produkte durch gezielte Werbeanzeigen innerhalb der App zu pushen.
Indem Temu diese Anzeigenplätze verkauft, schafft die Plattform nicht nur extreme Zugewinne, sondern hält die Kunden auch länger in der App. Indem ihnen immer wieder relevante Produktwerbung anzeigt wird, steigt auch die Chance zum Kaufabschluss. Manche Experten gehen mittlerweile soweit, dass sie das eigentliche Business Model von Temu nicht mehr wirklich im eCommerce, sondern in der Bereitstellung von Werbeflächen sehen.
Ein weiterer USP von Temu ist der discovery-basierte Ansatz, der das Einkaufserlebnis fast spielerisch gestaltet. Die App begrüßt die Nutzerinnen mit einem endlosen, personalisierten Feed an Produktvorschlägen, der dazu einlädt, sich aus Neugierde oder Unterhaltung durch das Angebot zu scrollen. Dieses „Discovery Shopping“ erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Nutzerinnen impulsiv auf „Kaufen“ klicken. Zusätzlich werden sie mit In-App-Spielen angesprochen, die kleine Gewinne und Belohnungen versprechen und so die Verweildauer und Interaktion weiter steigern.
Die niedrigen Preise und Direktversand aus China bringen jedoch auch Schattenseiten mit sich. Untersuchungen zeigen, dass viele der auf Temu verkauften Produkte nicht den europäischen Sicherheitsstandards entsprechen. Der TÜV-Verband bemängelte unlängst, dass eine Vielzahl von Artikeln auf solchen Plattformen Schadstoffe enthält oder Sicherheitsvorschriften nicht erfüllt. Dies betrifft insbesondere Produkte für Kinder und Jugendliche, die oft unzureichende CE-Kennzeichnungen oder scharfe Kanten aufweisen. Darüber hinaus kommt es häufig zu Zollverstößen. Ein Beispiel: Viele Produkte werden beim Versand unter ihrem eigentlichen Wert deklariert, um Zölle zu umgehen.
Auch wenn dies zunächst wie ein Nachteil für Kunden und Finanzämter klingt – die eigentlichen Betroffenen sind eCommerce Unternehmen in Deutschland und Europa. Diese sind an Auflagen wie das Lieferkettensorgfaltsgesetz gebunden und können auch in Sachen Zoll und Produktsicherheit nicht einfach „herumtricksen“. Dadurch entstehen höhere Produktions- und Einkaufskosten und damit ein schmerzhafter Wettbewerbsnachteil gegenüber den Anbietern aus China.
Die genannten Wettbewerbsvorteile von Temu & Co. mögen einschüchternd wirken, doch es gibt Mittel und Wege, mit denen Du als eCommerce Startup reagieren kannst. Hier sind einige Ansätze, die Dir helfen können, Deinen Online-Handel zu stärken und Dich gegen die Massenware aus China zu behaupten.
Allein mit dem Preis wirst Du gerade als eCommerce Gründer*in heutzutage nicht mehr punkten können. Aber parallel mit der Nachfrage nach billigen Produkten wächst gleichzeitig auch das Bewusstsein der Verbraucher für Qualität und Nachhaltigkeit. Viele Kunden sind bereit, für Produkte mit höheren Standards mehr zu zahlen. Nutze dies als Vorteil und kommuniziere die Qualität und Nachhaltigkeit Deiner Produkte klar und transparent. Wenn Du beispielsweise umweltfreundliche Materialien oder faire Arbeitsbedingungen einhältst, betone dies in Deiner Markenkommunikation und biete Deinen Kunden Vertrauen in ihre Kaufentscheidungen.
Eine One-Fits-All Strategie, auch im D2C eCommerce, wird in Zukunft deutlich schwieriger. Richte Dein Business Model daher weniger an der Größe eines Gesamtmarktes aus (z.B. Schuhe), sondern orientiere Dich radikal am Marktanteil innerhalb Deiner Nische (z.B. nachhaltige Laufschuhe). Das bedeutet in der Folge, dass nicht nur Deine Kunden Dein Angebot entdecken sollen, sondern Du auch Deine Kunden entdecken musst. Sind die Kunden, die Du haben möchtest, auch wirklich die, die bei Dir kaufen? Mache regelmäßige Recherchen, wer bei Dir einkauft, sprich Kunden persönlich im After-Sales an und lass sie Ihre Erfahrungen und auch ihre Kritik mit Dir teilen – nur so hast Du Chancen auf Konversion und Wiederholungskäufe.
Gegen die Spielhallen-Atmosphäre von Temu hilft nur Authentizität. Nutze daher Social Selling und User Generated Content (UGC), um Deine Zielgruppe lebensnah zu erreichen. Ermutige zufriedene Kunden z.B. mit Gutschein-Aktionen innerhalb der Warensendung, ihre Erfahrungen mit Deinen Produkten zu teilen, sei es in Form von Bewertungen, Bildern oder kurzen Videos. Solche Inhalte wirken oft überzeugender als klassische Werbung und helfen Dir, eine Community rund um Deine Marke aufzubauen, die langfristig Kundenbindung fördert. Und wenn das mit ähnlich spielerischen Inhalten wie Quizzes, kleinen Games oder Verlosungen wie bei Temu funktioniert, ist dies sicherlich kein Hindernis.
Mit der zunehmenden Nutzung von KI-Chatbots und sprachbasierten Suchmaschinen ändern sich auch die Suchgewohnheiten im eCommerce. Optimiere daher Deine Inhalte für diese Art von Suchabfragen, indem Du relevante Suchen in Blog-Artikeln beantwortest, Anleitungen bereitstellst oder FAQ-Bereiche ausbaust. Dies erhöht die Sichtbarkeit Deiner Website und spricht gezielt die Bedürfnisse Deiner potenziellen Kunden an. Einen guten Artikel, wie Du selbst als Gründer*in ChatGPT für Deinen eCommerce nutzen kannst, findest Du übrigens hier.
Unternehmen wie Weber-Grill, Stihl (Kettensägen) oder Fjäll Räven (Bekleidung) haben immer wieder gezeigt: die beste Strategie gegen einen Preiskampf ist eine starke Marke – auch im Online-Handel. Mache Dir als eCommerce Gründer*in dabei immer wieder klar, dass zum Branding mehr als ein Logo und ein Claim gehört. Baue daher hinter den Kulissen eine Erlebniswelt Deiner (tatsächlichen) Kunden und finde ähnliche Bezüge zu anderen Marken aus verwandten und artfremden Shopping-Segmenten. Wo siehst Du Ähnlichkeiten, wo Unterschiede? Was sind die Emotionen, um die es wirklich geht? Was sind die Werteversprechen, für die Du bekannt sein und geradestehen möchtest?
Sorge für wenige, aber starke Botschaften, die Deine Produkte und Dein Angebot wirklich besonders machen, ohne zu „spitz“ zu werden. Und denke daran: Du magst Dich wochenlang mit Deinem Branding beschäftigt zu haben und Deine Marke kennen – der Kunde kennt sie jedoch meist nicht und gibt Dir kaum Zeit. In unseren Zeiten sind Touchpoints extrem kurz – nur, wenn hier emotional „was hängenbleibt“, hast Du Chancen auf langfristigen Erfolg. Erste Tipps für den Markenaufbau im eCommerce findest Du übrigens hier.
Wie Du siehst, gibt es einige Wege für Dich als eCommerce Startup, Dich besser gegen die Konkurrenz aus Fernost zu schützen. Im Mittelpunkt steht dabei immer die Bindung an Deine Kunden sowie Dein Werteversprechen, besser statt billiger anzubieten. Denn nur wenn Deine Kunden Deine Marke lieben und regelmäßig einkaufen, hast Du die Chance, auch ohne teure Werbebudgets oder gefährliche Preisnachlässe genügend Conversions einzufahren.
Eine weitere Schützenhilfe gibt es obendrein von offizieller Seite: Die Europäische Kommission hat Temu schon länger aufs Korn genommen und leitete Ende Oktober 2024 ein förmliches Verfahren gegen den Online-Marktplatz ein. Konkret geht es darum, ob die Plattform genug dafür tut, um den Verkauf illegaler oder schadhafter Produkte zu verhindern, und ob die genannte „Gamification“ des Discovery-Shoppings Käufer*innen süchtig machen kann. Zusätzlich zu diesem Verfahren wird diskutiert, die Freigrenze für zollfreie Einfuhren von 150 Euro abzuschaffen. Dieser Schritt würde bedeuten, dass auch günstigere Produkte verzollt werden müssten, was die Billigstrategie des chinesischen Giganten ein wenig erschweren würde.
Am Ende jedoch liegt es jedoch an Dir als eCommerce Unternehmer*in, selbst in Aktion zu treten und Temu mit Deinen eigenen kreativen Strategien erfolgreich die Stirn zu bieten. Temu mag Kunden „wie die Fliegen“ anziehen – entscheide Du, ob sie zu „Eintagsfliegen“ werden.
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